trè CD Rezensionen brissago

Jazz´n´more 11/12 

Die brennenden Zigarren auf dem Cover des neuen Albums von tré sind Programm. Die dünnen, leicht spiralförmig verdrehten Qualmstengel, die viel zu lang für ihre Dicke sind, sind alle unterschiedlich: keine Zigarre gleicht der anderen. Brissago ist ihr Name und gleichzeitig Konzept von tré. Die Musik des eidgenössischen Trios ist einmalig, ungewohnt und leicht verdreht. Die 21 Stücke der CD (das witzige Video nicht mitgerechnet) sind Miniaturen, die stilistisch viel hergeben. Trotz knapper Besetzung mit Saxofon, Posaune und Schlagzeug blitzt eine Vielfalt auf, die alpenländische Motive, Neue-Musik-Splitter, hintergründige Funk-Beats und Free-Jazz-Attacken einbezieht. Dass das Ganze keineswegs im Chaos versinkt, ist dem strikten Formbewusstsein des Trios zuzuschreiben. Stets neu entstehende Stücke bieten eine vergnügliche Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur, die in Titel wie „Grünes Gras“, „Nutztierdruck“ oder „Lachnummer“ mündet. rk


Jazzpodium 10/12

Die vorliegende vierte CD der drei Schweizer Alpenjazz-Anarchisten dokumentiert einmal mehr, dass der Grat zwischen alpenländischer Folklore und zeitgenössischem Jazz immer breiter wird, dass sich auf diesem Weg mittlerweile Bands (auch selbst) überholen können, ohne dass der Pfad ausgetreten wirkt und ohne dass Start und Ziel markiert geschweige den definiert wären. Die CD versammelt Momentaufnahmen, kurze, skizzenhafte Miniaturen einer äusserst lebendigen Musikszene, die die Tradition immer wieder infrage stellt, ohne jedoch gänzlich auf sie verzichten zu wollen. Brissago ist ein kleiner Ort am Lago Maggiore, an der Grenze zu Italien. Kein Wunder also, dass einige der Stücke sogar die italienischen Wurzeln der lokalen Musikfolklore zitieren. Alle Titel stammen von den Musikern des Trios. Man spürt bei jedem Stück den Spass, der für die Musiker nach wie vor hauptsächliche Motivation ist. Der Schlagzeuger Christian Niederer gilt zwar als „Schrittmacher“ des Trios, gibt jedoch diese Funktion über weite Strecken an den Posaunisten Bernhard Bamert ab. Dazwischen bewegt sich stil- und spielsicher der Tenorsaxofonist Thomas Lüthi. Dem Trio kommt das Verdienst zu, lokale Besonderheiten in Titeln wie „Grünes Gras“, „Silogas“, „Nutztierdruck“ und „Folleschübel“ kongenial in Musik umzusetzen. Und natürlich wird auch Brissago ein Denkmal gesetzt. Oder ist dieses den Zigarren gewidmet, die den Ort bekannt gemacht haben?  Rainer Bratfisch


Jazzthetik 1/13

Tré, das sind die drei Schweizer, die sich aufgemacht haben, die alpenländische Volksmusik aus ihrer musealen Mottenkiste herauszuholen. Die aber einen solchen überlieferten Fundus nicht nur einfach aufpolieren oder interpretieren, sondern aus solchem Rohmaterial so viel überbordende Eigenkreativität und kaum zu bremsende Spiellust schöpfen. Noch reichhaltiger und querdenkerischer ist ein solcher Kosmos geworden auf diesem dritten Album, das nach einer idyllischen Insel im Lago Maggiore benannt ist.

Man hat die frische Bergluft in der Nase, wenn die drei zu einem flotten Ländler aufspielen - überhaupt mutet ja schon diese minimalistische Besetzung wie die ideale Versuchsanordnung für alle grenzgängerischen Experimente an. Das Tenorsax von Thomas Lüthi, Bernhard Bamerts Posaune und das reduzierte, aber dafür umso energischer traktierte, manchmal fast wie bei einer Marching Band drauflos polternde Schlagzeug von Christian Niederer - überaus luftig und transparent erscheint dieses Trio, wo die Kunst eines hochpräzisen Miteinanders im sorgsamen Aufeinanderhören begründet ist. So geht es auf endlose Wanderungen durch Stile und Un-Stile. Da wird die fröhliche Tonalität helvetischer Volksmelodien mit viel anarchistischem Spieltrieb und neutönerischer Kennerschaft zerbeult und verbogen, da verwirbeln und zerstäuben die Synkopen in einer perfekten Jonglage mit Versatzstücken. Und immer ist die Klangwelt der Berge in den 21 skizzenartig komprimierten Stücken dieses Tonträgers präsent in gutturalen Posaunen-Ostinati der Begleitfiguren, in jodelnden Fanfarenmotiven oder in kuhglockenartigen Klang-Anspielungen seitens des Schlagzeugers. Unaufhörlich treibt es weiter, dieses Musikantentum, kollidieren Volksmelodien mit abstrakten rockigen Parts, liegen bebop-angehauchte Saxofonlinien über ostinaten Begleitfiguren, die von einer alpinen Blaskapelle kommen könnten. Phasenweise verdichtet sich dieses Spiel zu einer frisierten Polka im treibenden Unisono.

Warum nicht einmal auf die Heimat-Kultur schauen und ihr ein würdiges Gesicht geben! Das Wort Heimweh sei übrigens eine Schweizer Erfindung, verrät der Begleittext der CD! Und das Hören des Tonträgers verlangt regelrecht nach einem Livekonzert-Erlebnis mit den drei spiellustigen Schweizern als logische Konsequenz. Stefan Pieper


Dombrowski jazzting 2012

Manchmal bedeutet Avantgarde auch einen Blick zurück und zur Seite. Tré greifen auf ein üppiges Erbe zu, das ihre Schweizer Heimat ebenso betrifft wie die Gewohnheiten der freien Szene. Da die Musiker eine Tendenz zur Selbstironie haben, wird daraus keine angestrengte Kopfgeburt, sondern ein hintergründiger Kommentar zu Gewissheiten der improvisierenden Klangbehandlung. Dabei nützen Tré geschickt die Vorteile der kargen Besetzung von Tenorsaxofon, Posaune und Schlagzeug. „Brissago“ ist daher ein Gespräch mit hohem kommunikativem Faktor. Sie beziehen ein umfassendes Stilspektrum in die Trialoge ein, angefangen bei alpenländischen Motiven bis hin zu neumusikalischen Motiven, vom hintergründigen Funk-Beat bis zu frei wirkenden Akzenten, die allerdings sorgsam geplant sind. „Brissago“ geht mit dem rhapsodischen Charakter der 21, teilweise sehr kurzen Stücke noch deutlich weiter als die bisherigen Alben. Es wirkt einerseits wie ein Skizzenbuch zu den Möglichkeiten ausgebuffter Formentwicklung, vermeidet aber gleichzeitig die avantgardeske Willkürlichkeit der Free-Väter. Vor allem aber sind Thomas Lüthi, Bernhard Bamert und Christian Niederer ausgezeichnete Musiker, die aus dem exaltierten Konzept eine Band mit Inhalt, mit Identität machen. Und irgendwie Freaks.


Schwarzwälder-Bote, 23.02.2014

Rottweil. Da ist es, fast, das Alphorn-Fa. Seltsam genug, dass sie überhaupt damit spielen, und unter klangästhetischen Erwägungen erst recht, dass Saxofonist Thomas Lüthi ihn beisteuert. Immerhin hat das Schweizer Ensemble "tré" mit Bernhard Bamert einen ziemlich experimentierfreudigen Posaunisten in seinen Reihen. Und wenn man schon mal dabei ist: Schlagzeuger Lukas Mantel komplettiert das Trio. Mehr ist nicht – und es sollte am Freitagabend im Kapuziner doch so viel mehr werden als die dürre Besetzungsliste nahelegt.

Hansjörg Mehl, der die Jazzreihe im Kapuziner organisiert, spricht gerne von "mein Schicksalskonzert" – aus dramatischem Grund: Im vergangenen September war ein Gastspiel von "tré" als inoffizielles Highlight der Beiträge von Jazz im Refektorium zum Schweiz-Jahr 2013 geplant. Kurz vor dem Auftritt hatte Mehl einen Zusammenbruch, den er wohl nur dank des Umstands überlebte, dass eine Gruppe Ärzte, darunter übrigens auch Notfallmediziner aus der Schweiz, sich in Rottweil fortbildete und abends bei kreativem Jazz angeregt entspannen wollte. Das Konzert wollte er trotzdem unbedingt. Klar. Und auch das Trio war nach anfänglicher Skepsis – "es hätte danach ja sein können, dass er uns nicht mehr haben will" – alles andere als abgeneigt. Weswegen am Freitagabend fröhliches Konzertfestfeiern in großer Runde angesagt war. 

Und drei solche Musiker haben locker das Zeug dazu, noch mal so viele neben sich auf der Bühne zu präsentieren. Da gibt Bamert gerne nebenbei den zweiten Percussionisten, und beim Saxofon muss man schon genau hinhören, ob Lüthi nicht doch mit der dritten Hand noch einen Klangregler am Synthesizer bedient. Macht er natürlich nicht. Die Musik von "tré" ist echt "handgemacht". 

Und sie spielt. Gerne mit den Traditionen des Alpin-Agrarlands Schweiz, gerne mit folkloristischen Zitaten aller Art. Ob Musette oder Balkan-Brass. Natürlich ist auch der Anteil Free-Jazz, den die drei in den Klangkosmos aufnehmen, virtuos und doch poetiisch – weg von kopflastigem Konstruktionsmühen, rasendem Finger-und Atemtechnikspiel oder der Hommage ihrer selbst willen an ätherische Klangspuren. Bei "tré" wirken Höchstleistungen lustvoll, selbstverständlich, vital und augenzwinkernd brillant. Bodo Schnekenburger